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Unbekanntes Südfrankreich
Eine Reise mit dem Esel durch die Cevennen
Michael Vogeley
R
OBERT
L
OUIS
S
TEVENSON
ist ein berühm-
ter Schriftsteller. Das herrlich triviale Seeräuber-
garn Die Schatzinsel hat man vielleicht als
Jugendlicher atemlos unter der Bettdecke gele-
sen. Oder den faustischen Psychokrimi Dr. Jekyll
und Mr. Hyde gruselnd als Erwachsener. S
TE-
VENSON
war nicht nur Romancier, er war auch
ein außergewöhnlicher Reiseautor - von Alaska
bis zur Südsee zuhause. Am Beginn seiner
Karriere kaufte er in Südfrankreich einen Esel,
überschritt damit in zwei Wochen ein fast unbe-
kanntes Gebirge und schrieb über dieses Aben-
teuer sein Buch Eine Reise mit dem Esel durch
die Cevennen. Der Schotte streifte 1878 durch
eine der schönsten und einsamsten Gebirgsland-
schaften Südeuropas. Seinen Zeitgenossen war
das nicht geheuer; denn S
TEVENSON
schreibt:
„Man betrachtet mich mit geringschätzigem
Mitleid wie einen, der im Begriff ist, zum unwirtlichen Nordpol aufzubrechen.“ Seine störrische
Eselin M
ODESTINE
, die urigen Menschen und die großartige Landschaft inspirierten den 28-
jährigen Schotten zu seinem mit englischem Humor geschrieben Buch mit vielen Anekdoten. - Ich
habe seine originelle “Expedition” nachvollzogen und folgte den Spuren des Schotten.
Herausforderung Modestine
S
TEVENSON
schrieb: „Die Reise, welche dieses Buch beschreiben soll, ver-
lief unter günstigen Umständen und hat mir viel Spaß gemacht. In Le Mona-
stier, einer kleinen Ortschaft in einem freundlichen Hochtal, 15 Meilen von Le
Puy, verbrachte ich etwa einen Monat schöner Tage. Mir erschien sie beach-
tenswert wegen ihrer Spitzenklöppeleien und wegen ihrer Sauflust, ihrer unge-
hemmten Sprache.“ Das Dorf ist heute ein verschlafener Marktflecken. Viele
Fensterläden bleiben tagsüber verschlossen, und die wenigen Menschen, denen
man begegnet, sind meist alte Frauen. „Was ich brauchte war etwas Billiges,
Kleines und Zähes mit einem unerschütterlichen Gemüt, und alle Erfordernisse
wiesen auf einen Esel hin… Schließlich (nach langem Handeln) trat Grauchen
für 65 Francs und ein Glas Kognak in meine Dienste über.“ Er hatte noch nicht
unsere gut geschulten und willigen vierhufigen Freunde.
Start und Ende eines Tages sind sogenannte gîtes, Herbergen. Meist sind es
ehemalige, malerische Bauernhöfe, tief in den Bergen versteckt und im Winter
unbewohnt. Dort wo auch S
TEVENSON
sein gestresstes Haupt bettete, müde
vom Kampf mit seiner störrischen M
ODESTINE
. Wir haben es besser, unsere