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Das Hanuman-Projekt
Sicherheitstechnik in Indien
Nicholas Mailänder
Manche Länder strecken ihre Fühler ganz heimlich Tausende von Kilometer
weit aus, hinein in fremde Kontinente. So wirkt die Wartehalle für den Flug
von Zürich nach Bo mbay wie eine kleine indische Kolonie. Das liegt nicht nur
an den deutlichen Zeichen, wie dem dunkleren Teint der Menschen, dem hie
und da eingestreuten Turban oder dem „Beauty-Point“ auf der Stirn einiger in
Saris gekleideter Frauen. Während diese sich um den quirligen Nachwuchs
kümmern, entwickeln sich zwischen den Männern bereits Gespräche. Über die
Geschäfte, über die Krise der ultra-hinduistischen Baratija Janata Party und den
erstaunlichen Wahlerfolg der Congress Party: „Who would ever have thought
that Congress could win?“
Eine gute halbe Stunde nachdem ich meinen Sitz im Jumbo nach Bombay
gefunden habe, weiß ich schon, dass mein Nachbar, ein im Bundesstaat Maha-
rashtra geborener Inder, seit zwanzig Jahren Chef einer psychiatrischen Klinik
in Zürich ist. Auf der anderen Seite sitzt ein Maschinenbauer; er hat einen solar
betriebenen Kocher im Handgepäck, der einen Liter Wasser in vier Minuten
zum Sprudeln bringt. Der junge Ingenieur hat ihn auf einem Kongress in Han-
nover einem staunenden Publikum vorgeführt: „You kno w, India has little oil,
but lots of sunshine!“ Die Positionskarte auf dem Bildschirm zeigt an, dass wir
gerade über der unruhigen Ukraine dahindüsen, als die unvermeidliche Frage
nach dem Grund meines Besuchs in Indien gestellt wird. Über die Auskunft,
dass ich indische Kletterer auf den neuesten Stand der Sicherungstechnik brin-
gen und sie darin unterstützen will, ihre Klettergebiete mit eurogenormten Bolts
zu sanieren, stößt auf begeisterte Zustimmung: „It is good that you mountain
enthusiasts help each other!“
Bruchlos setzt sich der Informationsaustausch zwischen den Kulturen im
Sammeltaxi von Bombay nach Puna mit einem Rechtsanwalt fort, der lange
Jahre als Richter tätig war. Während abenteuerlicher Überholmanöver unserer
Klapperkiste in den Straßen der zugleich reichsten und ärmsten Stadt des Sub-
kontinents erklärt er mir das Wesensmoment der hinduistischen Gesellschaft:
„Die ist wie ein Bienenstock mit einer unendlichen Zahl von Königinnen. Ha-
ben fremde Invasoren mal eine von ihnen gefangen, so hat das denen überhaupt
nichts genutzt!“ Die Richtigkeit seiner Aussage spiegelt sich in der Architektur
wider: Überall in der Metropole und auch draußen in den Städtchen und Dör-