Die Sektion Bayerland, der Antisemitismus und das Naziregime
37
tenden Totenkirchl. Nach diesem sensationellen Erfolg konnte G
OTTFRIED
M
ERZBACHER
noch so manche Erstbesteigung für sich verbuchen.
Im Jahr 1888 verkaufte er die gut gehende
Firma, um sich fortan ausschließlich seiner
größten Leidenschaft zu widmen: der Erfor-
schung unbekannter Gebirgsregionen. 1891
startete er auf eigene Kosten eine zweijährige
Kaukasus-Expedition. Der bedeutende öster-
reichische Führerlose L
UDWIG
P
URTSCHEL-
LER
und zwei Tiroler Führer sorgten für eine
reiche alpinistische Ernte. Im ersten Jahr
erreichte M
ERZBACHER
im Zentralkaukasus
den Uschbasattel sowie die Gipfel von Elb-
rus, Kasbek und sieben Viertausendern. Das
Jahr 1892 verbrachte der unermüdliche
M
ERZBACHER
im östlichen Kaukasus, wo
ihm zahlreiche Erstbesteigungen gelangen.
Damit knüp fte der Münchner Forscher jüdi-
scher Abstammung an die Leistungen der
Brüder S
CHLAGINTWEIT
an. Wie diese begnügte sich M
ERZBACHER
nicht mit
der bloßen Erkundung: 1901 erschien sein umfangreiches zweibändiges Werk
„Aus den Hochregionen des Kaukasus“, in dem er die geografischen und alpi-
nistischen Ergebnisse der Expedition darstellte. Noch im selben Jahr ernannte
die philosophische Fakultät der Universität München G
OTTFRIED
M
ERZBACHER
für seine wissenschaftlichen Verdienste zum Ehrendoktor.
Das Verhältnis der Bergkameraden unterschiedlicher Konfession scheint in
jenen Jahren gänzlich unverkrampft gewesen zu sein. So nahm der aus Nürn-
berg stammende H
ANS
P
FANN
, der als Eismann einen hervorragenden Ruf
genoss, 1902 ganz selbstverständlich an der von G
OTTFRIED
M
ERZBACHER
organisierten Expedition in das zentrale Tienschan-Gebirge teil. Und auch als
die beiden Bayerländer P
AUL
H
ÜBEL
und A
LOIS
D
ESSAUER
1906 auf neuem
Weg in der Lamsenspitze-Ostwand unterwegs waren, dürfte das Thema der
Religionszugehörigkeit kaum im Vordergrund gestanden haben – genauso
wenig wie beim Besuch des Totenkirchl-Gipfels durch M
ERZBACHER
,
H
ÜBEL
und P
FANN
im Juni 1906 anlässlich des 25. Jubiläums der Erstbesteigung. Mehr
als die meisten anderen Alpenvereinssektionen sah sich Bayerland damals der
„alpinen Idee“ verpflichtet. Anerkennung genoss jedes Mitglied, das sich für
die gemeinsame Sache einsetzte und ein guter Kamerad war – unabhängig von
Stand, ethnischer Herkunft, Nationalität und politischer Einstellung.
Gottfried Merzbacher